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29.05.2021, 11:20 Uhr
Meine Nachlese zu Peter Taubers politischer Bilanz
Peter Tauber, ein wichtiger Mann der Merkel-Ära, ist nach nicht ganz drei Legislaturen, inklusive ca. vier Jahren als Generalsekretär der CDU und in seiner dritten MdB-Periode als parlamentarischer Staatssekretär, aus persönlichen Gründen, inklusive wohl auch gesundheitlichen Fragen, aus der aktiven Politik ausgeschieden. 
 Meine Nachlese zu Peter Taubers politischer Bilanz


29. Mai 2021

 

Peter Tauber, ein wichtiger Mann der Merkel-Ära, ist nach nicht ganz drei Legislaturen, inklusive ca. vier Jahren als Generalsekretär der CDU und in seiner dritten MdB-Periode als parlamentarischer Staatssekretär, aus persönlichen Gründen, inklusive wohl auch gesundheitlichen Fragen, aus der aktiven Politik ausgeschieden. 

Aus diesem Anlass hat er eine politische Bilanz geschrieben und auf seinem Blog „Schwarzer Peter“ veröffentlicht. Ich habe sie mit großem Interesse durchgelesen: Peter Tauber und ich sind ein ähnlicher Jahrgang (er ist zweieinhalb Jahre jünger), kommen beide aus der Kommunalpolitik, haben beide zumindest akademische Meriten außerhalb der Politik und hatten in der hochinteressanten 18. Wahlperiode mehrfach politisch miteinander zu tun. Und schlussendlich würde ich für uns beide reklamieren, dass wir regelmäßig ein wenig über den politischen Tellerrand der jeweiligen Aufgaben und Herausforderungen hinausblicken.

Peter Taubers Bilanz gliedert sich grob in drei Abschnitte, Kommunal- und Wahlkreisarbeit, Bundespolitik und die Bundeswehr. Auf alle Aspekte möchte ich kurz eingehen. 

Und vielleicht schon vorneweg, diese Nachlese wird recht kritisch ausfallen, aber ich habe mir fest vorgenommen, nicht einseitig oder eindimensional zu urteilen, ein Phänomen was in unserem jetzigen Diskurs leider viel zu prävalent ist.

Trotz dieser festen Vorgabe konnte ich nicht anders als mich über den kommunalpolitischen Einstieg von Peter Taubers Bilanz besonders zu ärgern. Er bedient für mich nämlich ohne jede Not ein Muster, was mir in diesem Land schon praktisch seit meinem ersten politischen Schritt im wiedervereinigten Deutschland negativ aufgefallen ist: Die Mär von der guten, überparteilichen Kommunalpolitik als Gegenstück zu dem vom Bürger abgelehnten oder zumindest sehr kritisch beäugten Politikbetrieb. 

Peter Tauber bedient dieses Muster ohne rot (sic!) zu werden – er verklärt seine Zeit als Stadtverordneter von Wächtersbach in Hessen und zeichnet eine bruchlose Linie zu dem erfolgreichen Wahlkreisabgeordneten, dem „die Parteizugehörigkeit von Menschen nicht wichtig ist“. 

Dieses Bild ist nicht stimmig, kann nicht stimmig sein. Und stimmt für Wächtersbach und Hessen auch garantiert nicht. 

Nicht nur, dass Peter Taubers lokale Partei und Junge Unionsarbeit überhaupt nicht vorkommt, was schon auffällt, denn fast kein CDU-MdB kommt wie die sprichwörtliche Jungfrau zum Kinde. Nicht nur, dass der von ihm zwar erwähnte Andreas Weiher (dessen SPD-Parteimitgliedschaft unerwähnt bleibt) in Wächtersbach die CDU so marginalisiert hat, dass er die Bürgermeister-Wiederwahl 2019 mit 80% gegen einen unabhängigen Kandidaten gewann. Natürlich bleibt auch das desaströse Ergebnis der CDU in der Stadt Wächtersbach am 14. März diesen Jahres bei der hessischen Kommunalwahl unerwähnt – dieser Punkt ist nun tatsächlich verständlich, denn die CDU ist mit minus 14 Punkten auf 13% und Platz Drei gefallen, die Fraktion hat sich auf 5 Verordnete halbiert. 

Alle diese Punkte könnte man als lässliches Weglassen akzeptieren, wenn denn nicht der übergeordnete Punkt so falsch wäre. 

Natürlich spielt Parteipolitik auf allen politischen Ebenen unserer Demokratie eine zentrale Rolle – so ist unser politisches System nun mal aufgebaut. Und natürlich gibt es auch auf allen Ebenen unserer Demokratie den Gegensatz zwischen Inhalt und Parteitaktik und Karriere – auch dieses Problem ist inhärent. Und natürlich müssen die Kämpfe nicht so vehement und intensiv geführt werden, wie ich es als Bezirksverordneter zunächst im über 150.000 Einwohner großen Berliner Bezirk Prenzlauer Berg und später im bald 400.000 Einwohner großen Fusionsbezirk Pankow erlebt habe. Aber ich kann garantieren, dass die Mechanismen im 12.000 Einwohner starken Wächtersbach, Hessen die gleichen waren und sind, wie auf allen Ebenen.

Und natürlich haben wir in Prenzlauer Berg und Pankow immer wieder auch gute Kompromisse mit den anderen Parteien im Sinne der Bürgerinnen und Bürger und des Stadtteils gemacht, aber natürlich gab es auch immer das Durchregieren der jeweiligen Mehrheit – so ist Demokratie und so muss Demokratie sein, denn die Richtung wird nun mal über Wahlen und Mehrheiten bestimmt und eben nicht durch Gefühlsabgleich im germanischen Thing.

Und genau deshalb war ich auch ziemlich irritiert, dass Peter Tauber beim Aufzählen seiner wirklichen imposanten Erfolge für seinen drei Mal direkt gewonnenen Wahlkreis nicht wenigstens einmal erwähnt, dass dies natürlich als Generalsekretär und später als parlamentarischer Staatssekretär etwas einfacher ist, als für einen Abgeordneten, der nicht an so einflussreichen Positionen sitzt. Nun gut.

 

Der Abschnitt über die Bundespolitik fängt mit einem fast unerträglichen Loblied auf die Erfolge der Ära Merkel an (die dann auch noch non-chalanant als Quasi-Begründung für die Wohltaten in seinem Main-Kinzig-Wahlkreis herhalten). Peter Tauber schreibt tatsächlich: „Wir leben im besten Deutschland, das es je gab.“ Selbst wenn ich Peter Tauber das Stilmittel der Positivübertreibung gerne zugestehe (seine Reden als Generalsekretär hat er ja immer mit „Halleluja“ abgeschlossen), kann ich diesen Satz in der seiner politischen Bilanz nicht so stehenlassen.

Zunächst die Fakten: Als Jahrgang 72, bzw. 74 muss unsere politische Zählung mit der Wiedervereinigung anfangen. Alles andere wäre Geschichtsklitterung, denn ein Loblied auf Frieden und Wohlstand kann man wirklich nicht für das geteilte Deutschland singen. 

Die Zeit der wiedergewonnenen Einheit teilt sich grob in drei Abschnitte: Die ersten Jahren der Wiedervereinigung und die Spätphase Kohl (90-98), der Wechsel zu Rot-Grün und die Ära Schröder-Fischer (98-05) und die Ära Merkel (05-21). 

Was zunächst auffällt ist, dass die Ära Merkel doppelt so lang ist, wie die anderen beiden Abschnitte. Zwar muss dies nicht per se etwas Schlechtes sein, aber ein sonderlich gutes Zeichen für eine lebendige Demokratie ist es auch nicht. Ansonsten würde ich für Deutschland seit 1990 eher eine Achterbahnfahrt von Krisen und Wiedererstarken sehen und bin mir beim jetzigen Punkt eigentlich ziemlich sicher, dass es jetzt wieder massiv nach unten geht, bevor es hoffentlich dann auch wieder mal bergauf gehen wird. 

In der Bilanz von Peter Tauber dagegen tauchen die für mich entscheidenden Stichworte: Europakrise, inklusive Brexit, völlig verquere Energiepolitik und das gescheiterte deutsche Experiment der Asylweltrettung gar nicht auf. Und dies sind ja nur die wichtigsten Baustellen. Dazu kommen ja noch die massiven Defizite in Bildung, Wissen, Wissenschaft, Digitalisierung, Infrastruktur, Verwaltung, etc. pp. die durch die Pandemie ja gerade gnadenlos exponiert wurden. Armin Laschet beschreibt den jetzigen deutschen Zustand aus meiner Sicht völlig korrekt als Sanierungsfall.

Peter Tauber hüllt als dies in die gnädige Decke des Beschweigens. Fast genau wie seine Bilanz als Generalsekretär, die aber letztlich doch immerhin erwähnt wird (aber nicht wirklich bilanziert). Ich habe Peter Taubers Versuche der Modernisierung der CDU immer mit Hoffnung und Sympathie begleitet, aber sehe die Bemühungen auf halben Weg versackt. Was aber vielleicht auch daran liegt, dass es hier einer radikalen, ehrlichen Analyse des deutschen Vereins- und Parteiwesens braucht, die für Akteure (und zu oft Profiteure) der Maschinerie einfach nicht leistbar ist. Immerhin habe ich mein ausführliches Gespräch mit Peter Tauber im Konrad-Adenauer-Haus zu dieser Sache in guter Erinnerung: We agreed to disagree.

Trotzdem enthält der bundespolitische Teil der Bilanz den Abschnitt, der mir am sympathischsten ist und dem ich klaren Respekt zolle: Peter Tauber ist ein Wegbereiter eines modernen Einwanderungsrechts in Deutschland, was tatsächlich längst überfällig ist. Und ich erinnere mich genau an seine (aber auch meine Zwangslage), als er das Reizwort „Einwanderungsgesetz“ in der 18. WP in der CDU/CSU-Fraktion angesprochen hat. Was ging da los! Ein wahrer Sturm der Entrüstung, natürlich auch noch von den jeweiligen Fachpolitikern (hier z.B. Wolfgang Bosbach) gravitätisch unterstrichten: Eine geradezu archetypische deutsche Reaktion, gerade von konservativer Seite, auf letztlich unausweichliche Reformvorschläge: Statt konstruktivem Kompromiss die blanke Obstruktion. Verzögern, verhindern, blockieren ohne Rücksicht auf morgen. 

Das bundesdeutsche Problem war und ist ja nicht die Einwanderung, die gibt es eh, die muss es sogar eh geben, sondern die ungesteuerte Einwanderung durch Missbrauch des nicht mehr zeitgemäßen Pauschalasylrechts. Und ein Einwanderungsgesetz ist da das richtige Gegenmittel. Aber setzen sie mal eine solche Radikalreform mit dieser abgewogenen Mitteposition durch! Im Spannungspol zwischen den tiefen Gräben auf beiden Seiten: Sehr schwierig und sehr zäh. In der 18. Wahlperiode ist das Einwanderungsgesetz mal wieder gescheitert, mit dem verrückten Nebeneffekt, dass Deutschland monatelang eine Phase von grenzen- und zügelloser Migration zugelassen hat. Mit dem Fachkräfteeinwanderungsgesetz ist jetzt endlich ein Schritt in die richtige Richtung erfolgt mit der Verabschiedung eines europäischen Asyl- und Flüchtlingsrechts, inklusive stringenter Außengrenzensicherung wird auch der zweite Teil des Problems irgendwann zumindest eingehegt, wenn nicht gar gelöst sein.

Bleibt noch der dritte und traurigerweise negativste Teil der Tauber-Bilanz: Die Bundeswehr. Peter Tauber, mittlerweile Hauptmann der Reserve und gedient, hat ein besonderes Verhältnis zur Truppe, das ist keine Frage. Ob ich trotzdem in einer Bilanz jede Auslandsreise und jedes Großgerät, in dem ich gesessen habe, erwähnt hätte, kann ich nicht sagen, es ist ja seine Bilanz. Aber der folgenden politischen Kernsatz muss eingeordnet werden: „In meiner Arbeit waren mir die Menschen wichtiger als die Rüstungsprojekte.“ Ein klassischer falscher Gegensatz, ein rhetorischer Kniff aus der Kiste der missbräuchlichen Argumentationsmuster. 

Eine Armee hat einen Hauptzweck. Und diesen Zweck kann man mit Verteidigung oder Krieg beschreiben, aber dieser Zweck dreht sich um Auseinandersetzungen: auf dem Land, im Wasser, in der Luft, im digitalen Raum, wo immer der äußere Feind unser Land angreift oder bedroht. Und da geht es um Einsatzfähigkeit: Von Menschen und deren Material. Nicht umsonst startete die Reform Preußens zunächst als Reform der preußischen Armee, die von der modernen Truppen Napoleons überrannt worden war. 

Ich war und bin kein Verteidigungspolitiker, aber der Zustand unserer Bundeswehr scheint noch jämmerlicher zu sein als der Rest des Landes. Natürlich kann ein parlamentarischer Staatssekretär allein keine Wunder bewirken, aber er kann ein Zeichen mit den richtigen Prioritäten setzen. Ich habe nicht den Eindruck, dass dies passiert ist und obiger Satz verkündet auch eher das Gegenteil.

Vielleicht zum Schluss noch eine übergreifende Beobachtung. Obwohl als „politische Bilanz“ überschrieben, fehlt Taubers Stück über seine politische Laufbahn eigentlich jegliche selbstkritische Note. Wenn jemand kritisiert wird, dann andere, z.B. hat die SPD, die Beschaffung einer bewaffneten Drohne verhindert und in der Partei ist vieles an „Bedenken und Widerstand“ gescheitert. 

Dass die politischen Verantwortungsträger, wie die Kanzlerin (Peter Taubers Bilanz enthält hier interessanterweise kein einziges persönliches Wort) oder die beiden Ministerinnen (anders hier, O-Ton Peter Tauber „die ich sehr schätze“) oder gar der gute Wahlkreisabgeordnete, CDU-Funktionär und späterer Generalsekretär und schließlich parlamentarischer Staatssekretär an Fehlleistungen und Fehlentwicklungen auch einen Anteil hatten, kommt zumindest in der politischen Bilanz von Peter Tauber nicht vor. 

Diese fehlende Selbstkritikfähigkeit bei gleichzeitiger Betonung von Modernität und Professionalität ist für mich eine der krassesten Eigenarten der Merkel-Ära – in wirklich jeder Firma bekommt man heute beigebracht, dass Erfolg und Fortschritt auch Versuch, Irrtum und Selbstkritik einschließen, ja eigentlich fast zwingend als Voraussetzung brauchen.

Zumindest in dieser Dimension leben wir deshalb hoffentlich noch nicht im „besten Deutschland, das es je gab.“. 

 

Nein, wir können es besser, wir müssen es besser können. 

 

Ich wünsche Peter Tauber auf seinem weiteren Weg alles Gute.

 

Dr. Philipp Lengsfeld, 

(aktives CDU-Mitglied, CDU-MdB (2013-17), vorher jahrelang ehrenamtlicher Kommunalpolitiker in Berlin)

Peter Taubers politische Bilanz auf seinem Blog:

https://blog.petertauber.de/?p=3906

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